20.01.2020 09:05 // Neurovaskuläre Notfallversorgung rund um die Uhr

Der Standort Kaiserslautern verfügt seit Kurzem über eine Klinik für Neuroradiologie. Diese wird von Chefarzt Priv.-Doz. Dr. med. André Kemmling geleitet. Der 42-Jährige ist Facharzt für Radiologie mit Schwerpunkt Neuroradiologie. Bislang arbeitete er als Leitender Oberarzt im Universitätsklinikum in Münster. Im Interview spricht der Chefarzt über seinen Wechsel in die Pfalz sowie über Bildgebungsdiagnostik und interventionelle Verfahren.

Sie sind der erste Chefarzt für Neuroradiologie hier am Westpfalz-Klinikum. Was wird durch Sie möglich werden?

Dr. Kemmling: Wir können ab sofort eine 24/7 neurovaskuläre Notfallversorgung anbieten. Das bedeutet insbesondere, dass Patienten der Pfalz nun adäquat profitieren. Sie nehmen einen kurzen Weg zur endovaskuläre Rekanalisation beim ischämischen Schlaganfall und zur endovaskulären Ausschaltung von gebluteten Hirnaneurysmen oder Malformationen. Ähnliche Verbesserungen sehen wir in der Diagnostik von Erkrankungen des Zentralnervensystems. Die neuen MRT-Geräte spielen hier eine wesentliche Rolle. Tumore, entzündliche Veränderungen, Gefäßpathologien und funktionelle Störungen des Zentralnervensystems (ZNS) können wir spezifisch diagnostizieren oder sehr sensitiv ausschließen. Die Neuroradiologie ist Teil des neu gegründeten Neurozentrums.

Welche Bedeutung hat die Neuroradiologie in diesem Zusammenhang?

Das Neurozentrum ist eine fachspezifische Organisation aller Neurofächer, um Patienten mit ZNS-Erkrankungen eine vollumfängliche Versorgung konzentriert an einem Ort anzubieten. Die Neuroradiologie als Teil des Neurozentrums bietet hier die vollumfängliche Diagnostik und Therapie von Erkrankungen des zentralen Nervensystems, einschließlich der Gefäße (Gehirn und Rückenmark, Schädel und Wirbelsäule). Sie kooperiert insbesondere mit den Kliniken der Neurologie und Neurochirurgie aber auch mit der Anästhesie, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde und Augenheilkunde. Dies bedeutet: In Zukunft werden Oberärzte mit dem Schwerpunkt Neuroradiologie die Neurofächer fachlich besser unterstützen.

Weiter firmiert die Neuroradiologie künftig gemeinsam mit der Radiologie unter dem Überbegriff Zentrum für Radiologie. Welche Chancen bietet die enge Zusammenarbeit der beiden Kliniken?

Spezielle diagnostische und minimal-invasive therapeutische Verfahren der Neuroradiologie werden überwiegend in der Computertomografie, der Magnetresonanztomografie und der Katheter-Angiografie durchgeführt. Dies bedingt eine erhebliche organisatorische Schnittmenge mit der Klinik für Radiologie. Die Neuroradiologie ist organisatorisch daher auch Teil des Zentrums für Radiologie, um effiziente Patientenströme zu den Geräten zu gewährleisten. Lange Wartelisten im MRT werden somit nicht mehr vorkommen.

Was sind die Eckpunkte Ihrer bisherigen Karriere?

Meine Laufbahn war bisher ausschließlich universitär. Ich habe hier in der Nähe in Mannheim begonnen (Neuroradiologie bei Prof. Dr. med. Christoph Groden). Nach meiner Facharztausbildung in Münster folgten weitere Stationen der Neuroradiologie mit Auslandsaufenthalt in Boston, in Hamburg-Eppendorf und in Lübeck mit Habilitation. Mein akademisches und fachliches Steckenpferd ist die neurovaskuläre Notfalldiagnostik und Therapie beim Schlaganfall mit über 100 Publikationen.

Was begeistert Sie an Ihrem Beruf?

Das intensive Umfeld und die Vielseitigkeit. Man kann an hochmodernen Geräten Diagnose betreiben und aber auch manuell Hirngefäße behandeln.

Worauf sind Sie besonders stolz?

Die Thrombektomie beim akuten Schlaganfall ist die Therapie mit dem höchsten Behandlungseffekt für den Patienten in der Medizin überhaupt. Kein anderes Fach kann eine Behandlung mit einer derart niedrigen „Number needed to treat“ (Anzahl der notwendigen Behandlungen) vorweisen.

Während Ihrer Zeit am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein haben Sie erfolgreich 3D-Modelle von Hirnarterien für personalisierte Eingriffe bei Aneurysma-Patienten gedruckt. Werden Sie diese Methode auch am Westpfalz-Klinikum anwenden? Welche Vorteile bringt sie mit sich?

Wir können patientenspezifische Modelle herstellen, um zum Beispiel bei komplexen Aneurysmen die Therapie zu planen und eine optimale Materialwahl vorzubereiten. Fachliche Ausbildung wird ebenso sehr viel besser möglich sein, denn der Beginn einer Lernkurve sollte möglichst im 3D-Modell stattfinden.

Warum haben Sie sich für einen Wechsel ans Westpfalz-Klinikum entschieden und was reizt Sie an Ihrer neuen Aufgabe?

Die große Klinik in aller Vielfalt und ein sehr großes Einzugsgebiet. Eine Neuroradiologie hat noch gefehlt.