01.02.2021 13:25 // Optimale Versorgung von Epilepsie-Patienten

Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e. V. (DGfE) hat der Epilepsie-Ambulanz der Klinik für Neurologie (Chefarzt Prof. Dr. med. Johannes Treib) am Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern jetzt ihr Zertifikat überreicht. Im Interview erklären Prof. Dr. med. Thilo Hammen und Dr. med. Ralf Landwehr, was die Ambulanz auszeichnet und welche Pläne es für die Zukunft gibt.

Welche Voraussetzungen mussten für die Zertifizierung erfüllt sein?

Grundgedanke der Zertifizierung ist die Sicherstellung einer optimalen fachlichen Versorgung von Epilepsie-Patienten und Patienten mit anderen komplexen Anfallserkrankungen im ambulanten Bereich. Hierfür wurden von der DGfE strukturelle und personelle Voraussetzungen formuliert und eine Mindestanzahl von Behandlungen pro Jahr festgelegt. Strukturell werden unter anderem regelmäßige Sprechstunden, sowie eine qualifizierte Versorgung bei Notfällen (z. B. Anfallsserien oder drohender Status epilepticus) auch außerhalb der Sprechstunde gefordert. Dies ist durch die Aufnahme über die Notaufnahme unseres Klinikums, in der eine 24 stündige Verfügbarkeit von qualifizierten Ärzten gewährleistet ist, möglich. Zudem muss die Verfügbarkeit von Routine- und Langzeit-EEG-Ableitungen einschließlich Video-EEG-Monitoring, testpsychologischen und laborchemischen Untersuchungen („Spiegelbestimmung von Antiepileptika“) gewährleistet sein. Personell werden spezifische Qualifikationen der leitenden Ärzte und ihrer Vertreter gefordert (Facharzt für Neurologie, Qualifikationsnachweise Epileptologie und verkehrsmedizinische Begutachtung). Alle diese Kriterien sind in unserer Epilepsie-Ambulanz erfüllt.

Welche Funktion übernimmt die Epilepsie-Ambulanz im Westpfalz-Klinikum?

Die Ambulanz erweitert das diagnostische und therapeutische Spektrum für Patienten mit bekannter Epilepsie und mit unklaren Anfallserkrankungen. In enger Kooperation mit den niedergelassenen ärztlichen Kollegen können Patienten auf Zuweisung untersucht und hinsichtlich weiterer diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen beraten werden. Bei Bedarf kann im nächsten Schritt eine stationäre Behandlung z. B. zum Video-EEG-Monitoring oder zur medikamentösen Neueinstellung im Rahmen der Komplexbehandlung Epilepsie erfolgen. Auch eine Nachbetreuung nach einem stationären Aufenthalt ist möglich. Dies verbessert sowohl die langfristige Versorgung der Patienten als auch die Kooperation mit den niedergelassenen Ärzten und externen Einrichtungen.

Was zeichnet die Ambulanz aus?

Hier am Klinikum bestehen optimale Voraussetzungen für eine Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung, da sämtliche Untersuchungen wie EEG-Ableitungen und Bildgebung des Gehirns auf höchstem fachlichem und apparativem Niveau durchgeführt werden. Zwischenzeitlich wurden in der Klinik zwei Video-EEG-Ableitplätze etabliert. Die moderne Gerätetechnik erlaubt neben einer computergestützten Auswertung auch eine moderne drahtlose Datenübertragung, sodass sich die Patienten frei auf Station bewegen können. Prof. Hammen und Dr. Landwehr haben beide eine langjährige Erfahrung in der Betreuung von Epilepsie-Patienten. Um eine umfassende Betreuung der Epilepsie-Patienten zu gewährleisten, besteht eine enge Zusammenarbeit mit unseren hausinternen Psychologen und dem sozialmedizinischen Dienst.

Wie stellt man fest, ob es sich bei einem Anfall tatsächlich um einen epileptischen Anfall handelt?

Grundlage der Diagnose ist – trotz aller technischen Möglichkeiten – weiterhin die klinische Beschreibung und Analyse eines klinischen Anfalls, die Epileptologen als Anfallssemiologie bezeichnen. Ideal ist es, wenn Anfälle direkt beobachtet oder per Video-Aufzeichnung aufgezeichnet und analysiert werden können. Hilfreich sind auch die Angaben des Patienten selbst über Veränderungen seines Erlebens vor, während und nach dem Anfall, und Angaben von anderen Personen, die den Anfall beobachtet haben. Da epileptische und nichtepileptische Anfälle sehr vielfältige Symptome und komplexe Abläufe entwickeln können, müssen alle Symptome im Bereich der Motorik, der Sensorik, des Bewusstseins, der Sprache, der Emotionen und des vegetativen Nervensystems berücksichtigt werden, um nur die wichtigsten zu nennen. Hieraus ergibt sich eine Verdachtsdiagnose, die durch die technischen Untersuchungen bestätigt oder modifiziert wird. Goldstandard ist hier das Video-EEG-Monitoring, das aber nicht in jedem Fall erforderlich ist. Bei dem genannten Verfahren werden über mehrere Tage simultan Hirnströme mittels EEG und anfallsverdächtige Ereignisse mittels audio-visuellen Techniken aufgezeichnet und diese zu den EEG Veränderungen in Bezug gesetzt.

Was ist das Besondere am 72-Stunden-Monitoring?

Da es häufig nicht gelingt, spontane Anfälle zu beobachten, wird im Video-EEG-Monitoring über mindestens 72 Stunden eine synchrone Aufzeichnung des EEGs mit bis zu 64 Kanälen (Ableitepunkten auf dem Kopf) und einer Video-Aufzeichnung des Patienten vorgenommen. Wenn während der Aufzeichnung Anfälle auftreten, können diese direkt wie oben erwähnt in Beziehung zu möglichen Veränderungen im EEG gesetzt werden. Anfälle können bei optimaler Überwachung auch provoziert werden, indem anfallshemmende Medikamente reduziert oder sogar kurzzeitig abgesetzt werden. Weiterhin können Anfälle entdeckt werden, die keine offensichtliche klinische Symptomatik verursachen (sogenannte subklinische Anfälle mit Anfallsmustern im EEG). Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit gegenüber dem Routine-EEG deutlich erhöht, sogenannte epilepsietypische Potenziale interiktal, d.h. zwischen dem Auftreten von epileptischen Anfällen zu finden, da die Aufzeichnungsdauer viel länger ist und alle Wach- und Schlafstadien mehrfach durchlaufen werden. Eine wichtige Rolle spielt das Video-EEG Monitoring auch in der differentialdiagnostischen Zuordnung von anfallsverdächtigen Ereignissen. Sogenannte nicht-epileptische Anfälle können epileptischen Anfällen in ihrem Erscheinungsbild sehr ähneln, so dass auch erfahrene Neurologen oft Probleme haben das erwähnte Krankheitsbild von epileptischen Anfällen abzugrenzen. Dies ist allerdings für den Patienten von beträchtlicher Relevanz, da es sich bei nicht-epileptischen (dissoziativen) Anfällen um ein Krankheitsbild unterschiedlicher Ätiologie handelt und somit auf unterschiedlichen Ursachen beruhen, die unterschiedliche Therapien (psychosomatische Behandlungen) erfordern. Patienten mit dissoziativen Anfällen zeigen im Gegensatz zu Epilepsie-Patienten im simultan aufgezeichneten EEG keine wesentlichen pathologischen Veränderungen.

Wie groß ist das Einzugsgebiet der Ambulanz?

Da in Rheinland-Pfalz zur Zeit nur in Kaiserslautern und in der Universitätsmedizin Mainz eine durch die DGfE zertifizierte Epilepsie-Ambulanz vorhanden ist, umfasst unser Einzugsbereich einen großen Teil von Rheinland-Pfalz sowie das angrenzendes Saarland. Natürlich können uns auch Menschen außerhalb dieses Bereichs in Anspruch nehmen, wenn die Situation dies erfordert.

Wie gut sind die Heilungschancen bei Epilepsie?

Diese Frage kann man pauschal kaum beantworten, weil es viele unterschiedliche Epilepsie-Syndrome gibt. Generell muss man unterscheiden zwischen einer guten Anfallskontrolle, im Idealfall Anfallsfreiheit, die bei mindestens 2/3 der Patienten erreicht werden kann, wenn die therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, und einer tatsächlichen Heilung, d.h. einem dauerhaften Verschwinden der erhöhten Anfallsneigung. Dies kann in einigen Fällen spontan geschehen, speziell wenn die Anfälle altersgebunden sind, also im Kindes- und Jugendalter. Daneben gibt es heute bei therapieresistenten Epilepsien die Möglichkeit epilepsiechirurgischer Eingriffe, die im besten Fall tatsächlich zu einer Heilung der Epilepsie führen können. Oft lässt sich zumindest eine deutliche Verbesserung der Anfallssituation erreichen, wenn die Patienten im Vorfeld möglichst präzise ausgewählt werden. Dazu leistet das Video-EEG-Monitoring einen wertvollen Beitrag. Aber auch palliative Verfahren wie die medikamentöse Behandlung mit Antikonvulsiva oder die Vagusnerv-Stimulation sind wertvolle Optionen, die die Lebensqualität von Epilepsie-Patienten stark verbessern können, auch wenn eine Heilung nicht möglich ist.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft? Was möchten Sie mit der Epilepsie-Ambulanz noch erreichen?

Die Kapazitäten für das Video-EEG-Monitoring und die Komplexbehandlung Epilepsie sollen weiter ausgebaut werden, um die Wartezeiten möglichst kurz zu halten. Darüber hinaus streben wir den weiteren Ausbau des stationären Epilepsie-Schwerpunktes in unserer Klinik für Neurologie an. Eine engmaschige Zusammenarbeit mit den anderen Kliniken des Neurozentrums steht ebenfalls im Fokus. Hierzu zählen neben der Neurologie:

  • die Neuroradiologie unter der Leitung von Priv.-Doz. Dr. med. André Kemmling
  • die Neurochirurgie unter der Leitung von Herrn Priv.-Doz. Dr. med. Kajetan von Eckartstein

Auch die Ausbildung von Ärzten zu Epileptologen und regelmäßige Fallbesprechungen und EEG-Konferenzen sind geplant, um die Fort- und Weiterbildung zu verbessern. Darüber hinaus besteht bereits eine Kooperation mit der Universität Erlangen im Rahmen einer Studie zum Thema Einfluss des Klimas auf die Epilepsie. Zukünftig sind auch wissenschaftliche Kooperationen u. a. mit der Technischen Universität Kaiserslautern geplant.

Prof. Dr. med. Thilo Hammen und Dr. med. Ralf Landwehr besitzen beide das EEG-Zertifikat für Epileptologie der DGfE. Prof. Hammen besitzt weiterhin das Zertifikat der Arbeitsgemeinschaft für prächirurgische Epilepsie-Diagnostik und operative Epilepsie-Therapie für den Bereich Epileptologie sowie die verkehrsmedizinische Qualifikation für Fachärzte. Von seiner langjährigen Erfahrung in den Epilepsiezentren der Uni Erlangen und der Uni Freiburg, profitieren neben den Patienten auch die Ärzte in Weiterbildung, die hier die Möglichkeit haben, das EEG-Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie (DGKN) und das Zertifikat für Epileptologie der DGfE zu erwerben. Dr. Landwehr bringt langjährige Erfahrung aus dem Epilepsiezentrum in Ravensburg und dem interdisziplinären Schlaflabor in Klingenmünster mit. Dr. Landwehr ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, was auch für die psychosomatische Grundversorgung der Epilepsie-Patienten von großer Bedeutung ist. Zusätzlich hat er unter anderem eine Zusatzqualifikation in Schlafmedizin/Somnologie, was für die Differentialdiagnostik von schlafgebundenen epileptischen Anfällen bedeutsam ist.